30 Jahre Dt. Einheit
3. Oktober 2020 - 30 Jahre Wiedervereinigung - Tag der deutschen Einheit
Eine Rückschau unseres Mitglieds Dietmar Hohm
In diesen Tagen erinnern wir uns an die Wiedervereinigung vor 30 Jahren. Es war eine sehr bewegte Zeit und jeder, der es bewußt miterleben durfte hat diese besonderen Tage für sich in Erinnerung. Mir sind viele Ereignisse und Bilder besonders im Gedächtnis geblieben und ich möchte mit einigen wenigen Gedanken an die "Wendezeit" erinnern.
Wendezeit, - was war das für eine aufregende Zeit.
Unsere Generation (damals Mittelalter) hatte sich eingerichtet. Wir waren aufeinander angewiesen und jeder hatte jedem mit den damaligen Möglichkeiten geholfen. Die Partei (SED) hatte das Sagen, und wer nicht mit dem Strom schwamm, hatte Schwierigkeiten.
Im Oktober1989 füllten sich aber die Straßen in dem damaligen Karl Marx Stadt und der Ruf "Wir sind das Volk" wurde immer stärker. Das war beeindruckend.
Auch in Niederwiesa gingen die Bürger auf die Straße und forderten Veränderungen. So bildeten sich z.Bsp. entlang der Hauptstraße enge Lichterketten und vor dem Rathaus versammelten sich Bürger mit berechtigten Forderungen.
In unserem Ort bildete sich zu der Zeit das "Neue Forum" (später als Bürgerinitiative tätig) und unter der Leitung unseres Pfarrers traf sich der "Runde Tisch" mit Vertretern verschiedener Parteien und Gruppierungen. Wir sammelten Anliegen und schmiedeten Pläne zur Verbesserung der Infrastruktur. Aber woher das Geld und die Fachleute?
Zu dieser Zeit erinnerte ich mich an eine Schlittenbaufirma aus Niederwiesa, Fritz Pilz. Seine Familie hatte die DDR rechtzeitig verlassen und sich bei Bestwig niedergelassen. Sein Sohn Volker ging mit mir in eine Klasse. Ihn fragten wir an, ob er uns nicht eine Partnergemeinde ähnlicher Größe organisieren könnte. Wir brauchten nicht lange zu warten. Und das für die damalige Zeit Unmögliche wurde wahr.
Die Gemeinde Bestwig meldete für den 23. Februar 1990 einen Besuch an. Und da gingen die Probleme schon los. Uns wurde plötzlich bewußt, was wir angerichtet hatten. Wir erwarteten unter den Augen der Stasi privat Kommunalpolitiker, die nur in einem Interhotel gegen harte Währung übernachten durften. Privat war verboten. Uns war das peinlich, dass unsere Gäste ihre Unterkunft selbst bezahlen mussten. Für den nächsten Vormittag hatten wir einen Termin im Rathaus mit allen Gemeinderäten vereinbart. Alle Gemeinderäte saßen in Festkleidung im BM - Zimmer im Kreis und voller Erwartung. Nach einer kurzen Vorstellung übernehm der BM von Bestwig das Wort und meinte:
"Meine Herren, wenn wir uns für eine Partnerschaft entschließen sollten, dann bitteschön nur mit dem neuen Rat."
Damit war der Termin geplatzt. Aber wir erhielten schon die Einladung zu einem Gegenbesuch.
In Chemnitz verstärkten sich die Demos und wir in Niederwiesa wollten auch etwas unternehmen. Der "runde Tisch" lud in die Kirche ein und wir überlegten, was in Niederwiesa zu verändern wäre. Die Kirche war mit über 500 Besuchern proppe voll. - Es gab keine zentale Abwasserentsorgung. Aber es gibt zum Glück einen Dorfbach. Und wir konnten es sehen, wenn Badetage angesetzt waren. Und nachts konnte man es riechen, wenn eine abflusslose Grube schnell mal entleert werden musste. Telefonanschlüsse waren absoluter Luxus. Geheizt wurde mit Braunkohle oder was einem brennbares in die Hände fiel. Sodass an manchen Tagen der Ort im Nebel stand. Zur Abfallentsorgung gab es Blechtonnen. Die Plastebehälter wären ja weggeschmolzen. Elektroenergie gab es über Freileitungen und an Gasanschlüsse war nicht zu denken. Die Trinkwasserversorgung klappte schon, aber die Bewohner am Berg hatten abends meistens das Nachsehen, - weil der Druck fehlte.
All das war eben Normalität und uns wurde bei der Aufzählung der Mängel die Hoffnungslosigkeit klar. Trotzdem wurden Pläne geschmiedet und Projekte im Ehrenamt entworfen und darüber diskutiert. Aber woher die Arbeitskräfte und das Geld?
In dieser Zeit besuchte ein kleiner Kreis der BI an dem vereinbarten Wochenende Bestwig. Wir interessierten uns für alles und kamen aus dem Staunen nicht heraus. Da gab es zu viele Fremdwörter wie: Zentrale Abfallentsorgung, Abwasseraufbereitung, Kommunale Trinkwasserversorgung. Erdgasanschlüsse, und alles muss sich kommunal rechnen lassen.
Hoffnungslosigkeit machte sich breit. "Das schaffen wir nie! -Wie soll das gehen?"
Da war z.Bsp. die alte Deponie "Weißer Weg" in Chemnitz. Die Großbetriebe lagerten dort u.a. auch ihre Schadstoffe ab und das Gras unterhalb der Deponie durfte nicht mehr verfüttert werden. Auch der Zufluss zu dem Niederwiesaer Naturbad war verseucht. Eine Gruppe von Fachleuten unserer Bürgerinitiative und Chemnitzer Naturschützer kämpften gegen die unsachgemäßen Ablagerungen. Letztlich mit Erfolg. Die Deponie wurde geschlossen und die Sanierung steht jetzt nach 30 Jahren vor dem Abschluss.
Und so kämpften wir uns durch die Zeit bis zu den ersten freien Wahlen am 6. Mai 1990. In den Gemeinderat wurden 19 Personen verschiedener Parteien und zugelassenen Gruppierungen gewählt. Ich persönlich habe mich lange gegen eine Kandidatur gewehrt, denn in die Politik wollte ich nicht. Aber es sollte eben alles anders werden. Nahezu 23 Jahre durfte ich als BM an der Entwicklung unserer Gemeinde mitwirken. Das Arbeitsgebiet war sehr umfangreich und die Ratssitzungen gingen oft bis weit nach Mitternacht. Und erstaunlich: Die Bürger waren interessiert und blieben bis zu letzt.
Wir hatten ja auch ein großes Programm abzuarbeiten. Es wurden die Straßen aufgerissen und gleichzeitig möglichst alle Versorgungsträger mit einbezogen. Das hatte einen großen Vorteil. Alle Medien waren im Erdreich und die Straße konnte ordentlich versiegelt werden.
Ich staune heute noch, wie das die Anwohner mitgetragen haben. Es wurden von den Bürgern selbst am Ende der Baustelle Überdachungen errichtet, damit sie die Schuhe wechseln konnten. Letztendlich hatten wir in unserer Gemeinde in kürzester Zeit eine relativ gute Infrastruktur.
Wenn ich anfangs von der Verbindung nach Bestwig berichtet habe, kann ich heute ein beständiges gutes Miteinander bestätigen. Die Bestwiger Partnergemeinde hat uns in jeglicher Art nach Bedarf uneigennützig unterstützt und wir durften viel lernen.
Ein Beispiel sei mir für viele Gelegenheiten gestattet:
Gleich nach der Wahl gab es in unserem Rathaus im Eingangsbereich eine Polizeidienststelle mit vergittertem Fenster und einer Tür, die jeden Abend versiegelt wurde. Die Umwandlung in ein Einwohnermeldeamt machte Probleme. Die eigentlich erfahrene Kollegin wurde nun plötzlich nach der Wiedervereinigung eine Mitarbeiterin des Rathauses. Völlig verzweifelt saß sie an ihrem neuen Arbeitsplatz und war unfähig die vielen neuen Fragen zu beantworten. Auch die übrigen Mitarbeiter waren überfordert. Ich griff zum Telefon und fragte in Bestwig an, ob evtl. fernmündliche Hilfe gegeben werden könnte. Nach einem kurzen Gespräch mit der Mitarbeiterin vertröstete der Kollege Susewind auf den nächsten Tag. Als wir am nächsten Morgen zum Rathaus kamen, stand ein PkW mit Kennzeichen vom Hochsauerland davor.Der Kollege setzte sich neben die Mitarbeiterin und gab ihr die entsprechende Sicherheit. Das war die Hilfe von Bestwig. Und wir sind stolz solche Freunde zu haben.
Zum Schluss will ich mich noch an den 3. Oktober 1990 in Niederwiesa erinnern.
In unsererChronik steht:
"Mit einer Feierstunde zwischen 22.00 Uhr am 3. Oktober und 1.00 Uhr am 04. Oktober wurde auch in Niederwiesa auf dem beleuchteten Rathausvorplatz mit einer festlichen Ansprache durch den Bürgermeister Dietmar Hohm, dem Einholen der Staatsfahne der DDR, dem Aufziehen der Staatsfahne der Bundesrepublick und dem Abspielen der Nationalhymnen, im Beisein vieler Einwohner der Tag der Einheit Deutschlands vollzogen."
Das wird uns immer in Erinnerung bleiben.
Dietmar Hohm
Eine Rückschau von unserem Mitglied Josef Hesse
Ich erinnere mich noch sehr gut an den ersten Besuch von ein paar Leuten aus Niederwiesa Anfang 1990 in Bestwig. Als das Gespräch von Dietmar Hohm, Günther Kempe u.a. mit den Offiziellen der Gemeinde Bestwig (Bürgermeister, Gemeindedirektor usw.) gegen 22:00 Uhr im Hotel Nieder in Ostwig beendet war, stießen der Autor dieser Zeilen sowie ein paar andere junge Leute aus Bestwig gezielt auf die Besucher aus Niederwiesa. Es kam sofort zu sehr interessanten Gesprächen, die bis in den frühen Morgen des nächsten Tages andauerten.
Das war der erste Kontakt zwischen Mitgliedern der späteren BI Niederwiesa und den damaligen Mitgliedern der damaligen "Jungen Bestwiger Liste".
Das Engagement dieser jungen Leute aus Bestwig unter maßgeblicher Beteiligung eines dort tätigen Rechtsanwalts führte dann dazu, dass ein paar Wochen oder Monate später gemeinsam mit der BI Niederwiesa zwei Informationsveranstaltungen in Niederwiesa durchgeführt wurden. Ziel war es, die Bürger in Niederwiesa so gut es ging über das zu informieren, was da nun im täglichen Leben auf sie zukommen würde. Für die beiden Informationsveranstaltungen hatte die BI die größten in Niederwiesa zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten ausgesucht. Trotzdem war der jeweilige Saal bei den beiden Veranstaltungen rappelvoll. Das Interesse überstieg die räumlichen Möglichkeiten. Auf den anliegenden Fotos mag sich der eine oder andere wiedererkennen.
Die beiden Veranstaltungen fielen damals in die Zeit, als nach der Wende erstmals der Gemeinderat neu gewählt wurde. Auf den beigefügten Fotos sind insbesondere auch die damaligen Kandidaten der BI zu sehen.
Vielleicht geben diese Zeilen und die nachfolgenden Fotos Veranlassung, noch einmal tiefer und umfassender in die damalige Zeit einzutauchen.
Es ist eine ständige Aufgabe der BI Niederwiesa, die Erinnerung an die damaligen Verhältnisse wach zu halten. Denn nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart zutreffend bewerten und die Zukunft verantwortungsvoll gestalten.
Es ist eine ständige Aufgabe der BI Niederwiesa, die Erinnerung an die damaligen Verhältnisse wach zu halten. Denn nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart zutreffend bewerten und die Zukunft verantwortungsvoll gestalten.
Josef Hesse, Dresden im Oktober 2020
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